Gedanken zur Fotografie


Über die Fotografie und das Schiessen

Zielen und Schießen – so eng hat der Sprachgebrauch die Fotografie mit dem Schießen verknüpft, dass wir ganz selbstverständlich vom Shooting sprechen, wenn wir eine fotografische Sitzung meinen.

Dabei haben das Schießen und das Fotografieren nicht viel mehr miteinander gemein als den Auslöser selbst. Bei genauer Betrachtung sind diese beiden Aktivitäten sogar so verschieden, dass es schier befremdlich ist, sie ständig in einem Atemzug zu nennen.

Selbstverständlich sind beim Fotografieren Qualitäten gefragt, die tatsächlich mit dem Schießen zu tun haben: Aufmerksamkeit, Konzentration und schließlich die Fähigkeit, im richtigen Moment auszulösen.

Aber ein genauer Blick auf das, was ernsthafte Fotografie ausmacht, verdeutlicht, wie weit entfernt das Eine vom Anderen ist.

Tatsächlich beginnt jede intensive Auf-nahme lange bevor das eigentliche Foto gemacht wird. Sie nimmt ihren Anfang dort, wo Öffnung stattfindet. Jene Öffnung, die überhaupt erst möglich macht, besondere Augenblicke oder Motive wahr-zu-nehmen.  

Mit diesem Sich-Öffnen beginnt der Prozess, der Qualitäten erfordert, die mit dem Fotografieren nur indirekt zu tun haben. Qualitäten, die in die Tiefe des Menschseins führen. Denn neben einer grundlegenden Achtsamkeit geht es darum, einen Standpunkt zu finden, eine eigene Sichtweise zu entwickeln und eine Perspektive. Und zu guter Letzt darum, diese im Bild zum Ausdruck zu bringen. Nur wenn dieser Weg zu Ende gegangen wird, entstehen ausdrucksstarke, eigenständige Fotografien, die wenig mit dem schnellen Knipsen und noch viel weniger mit dem Schießen gemein haben.

Die Bilder selbst schließlich sind keine Trophäen, sondern Geschenke. Geschenke von unzähligen versunkenen und intensiven Momenten. Geschenke, die Vergessenes bewahren und Unsichtbares sichtbar machen. Und Geschenke, in denen Menschen einander näher kommen, die Kommunikation und Begegnung ermöglichen.

Meilen sind sie entfernt vom Schießen, vom Beute machen!

Unsere Gedanken formen unsere Worte, unsere Worte formen unsere Taten, unsere Taten formen die Welt.

Schießen hat mit dem Fotografieren so viel zu tun wie der Mähdrescher mit dem Säen. Schenken wir dem leisen, beinah unbeachteten Wahr-nehmen, Auf-nehmen und Aus-lösen im allgemeinen Sprachgebrauch Gehör und ein Gesicht. Geben wir der anderen Seite der Fotografie eine Chance, geben wir ihr Worte, die zu ihr passen und das Wesentliche erfassen.